Demnächst werden wir die wohl erfolgreichste deutsche Webtalk-Fernsehsendung live aufzeichnen. Mit unseren neuen Geräten können wir Bild und Ton zukünftig live abmischen und gehen dann mit fertig produzierten Sendungen aus der Niederlassung. Das technische Setup erklärt unser Cheftechniker Michael Praetorius in diesem kurzen Video:
Die nächsten beiden Folgen werden noch einmal auf die alte Weise produziert und im neuen Jahr geht es dann mit der Liveaufzeichnung los. Zusammengepackt sieht das Studio, das nahezu dieselben Möglichkeiten bietet wie sie vor 10 Jahren in einen Ü-Wagen gepasst hatten, so aus:
Okay, ich muss zugeben, dass die Formulierung “Bücher liest ja keiner mehr” ein bisschen arg zugespitzt ist. Ich merke es aber an mir selbst: In meiner wissenschaftlichen Arbeit rezipiere ich immer mehr online verfügbare Texte – ganz gleich ob es um die sogenannte “graue Literatur”, Aufsätze in Onlineausgaben von Fachjournals (am besten Open Access) oder um digitale Buchausgaben geht. Aber auch Blogs spielen für mich als Ideengeber eine immer wichtigere Rolle. Soweit als kurze Vorbemerkung zu dem folgenden Interview, das turi2-Mitarbeiter Peter Schwierz am Rande der re:publica mit mir geführt hat.
Zur Arbeitsgemeinschaft Social Media geht’s übrigens da lang.
Eine der Institutionen der Web 2.0-Medienwelt ist schon seit einiger Zeit der turi2-Köpfe-Fragebogen. Wer hat dort nicht schon alles geistreiche, humorvolle oder einfach nur interessante Antworten gegeben. Felix Schwenzel war da, ebenso Mercedes Bunz und Christoph Keese sowie gerade eben erst Robert Basic. Auf der re:publica hat es dann fast wie aus heiterem Himmel mich erwischt. Ich hatte das Geistreiche-Antworten-für-den-Videofragebogen-Ausdenken zwar schon auf meiner Todo-Liste, aber da ich kein allzu großer Getting-Things-Done-Fan bin, ist dieser Punkt aus dem Blick geraten. Insofern kann ich hier nur 5 Minuten Improvisation eines “bloggenden Soziologen aus München” anbieten:
Eine Antwort möchte ich nachträglich ergänzen, denn ich werde meinen Kindern auf jedenfall den Rat mitgeben, sich auf den turi2-Videofragebogen gut vorzubereiten.
Wieder ein Video mit viralen Qualitäten: sehr elegant produziert, einfache Sprache und klare Aussagen zu Themen wie erneuerbare Energien, grüne Chemie, Nachhaltigkeit, Zero Waste und geschlossene Produktionskreisläufe: “The Story of Stuff”, präsentiert von Annie Leonard. Wenn ich da an unsere Lehrfilme im Biologieunterricht denke …
Die PR-Firma Edelmanhat im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums 3.100 Vertreter der sogenannten “Meinungsführer”, also wohlhabende, wohlinformierte Personen mit Hochschulabschluss aus 18 Ländern gefragt, welchen Institutionen sie am meisten Vertrauen schenken. Die überwiegende (58 Prozent) Antwort lautete: der Wirtschaft. Noch vor den Medien oder der Regierung. Nur Nichtregierungsorganisationen konnten auf dem “Vertrauensbarometer” einen vergleichbaren hohen Stand erreichen. Bei den 25-34-Jährigen ist der Unterschied zwischen Wirtschaft und Regierung noch stärker ausgeprägt.
Für mich noch spannender ist das Ergebnis, dass die offene Frage nach der vertrauenswürdigsten Quelle für Unternehmensinformationen über die Hälfte der Befragten Wikipedia genannt haben. Damit steht das Web 2.0-Vorzeigeprojekt vor klassischen Informationsquellen wie Fernsehen, Radio, Blogs oder digitalen sozialen Netzwerken. Ganz zu schweigen von den Unternehmenssprechern oder CEOs selbst – das wird das Davoser Publikum besonders freuen. Nur Wirtschaftsmagazine kommen auf höhere Werte als Wikipedia. Leider gibt’s noch keine Details der Studie, die in Davos vorgestellt werden soll. Dank Thomas Pleils Hinweis konnte ich mir nun auch schon die PDF-Zusammenfassung der Studie ansehen. Darin gibt es auch noch weitere spannende Ergebnisse zur Mediennutzung von Entscheidungsträgern, zum Beispiel über die schwindende Bedeutung von Printzeitungen bei den Jüngeren:
Thirty-five-to-64-year-olds are more likely to read a newspaper in print format (44%) than in electronic format (21%) while their younger counterparts are shifting more toward online news consumption (35% print vs. 30% electronic).
Oder über das besonders hohe Wikipedia- und Forumvertrauen der Deutschen:
German opinion elites have highest use of online message boards (39%) and free content encyclopedias like Wikipedia (46%) than in any country surveyed.
Mich würde besonders die Frage interessieren: Was macht Wikipedia so vertrauenswürdig? Die Tatsache, dass hier die Stimme des Volkes spricht, wie Richard Edelman das vermutet? Oder haben die Meinungsführer selbst schon in der Wikipedia mitgeschrieben und fühlen sich deshalb davon besonders angesprochen (Konsens durch Beteiligung)? Ist es das Image als non-profit-Projekt? Oder gar die Person Jimmy Wales? Seit seinem äußerst unterhaltsamen Streitgespräch mit dem wenig überzeugenden Mahalo-Gründer Jason Calacanis auf der DLD halte ich den letzten Punkt für gar nicht so abwegig.
Wofür ich Rundfunkgebühren bezahle? Damit unterstütze ich das öffentlich-rechtliche Qualitätsfernsehen, das sich durch besonders hohe Maßstäbe bezüglich der wahrheitsgemäßen Darstellung auszeichnet. Zum Beispiel wenn es um das Thema “Killerspiele” geht, wie Matthias Dittmayer in diesem Youtube-Video eindrucksvoll darstellt:
Ich bin mir aber nicht sicher, ob man wirklich wie Stefan Niggemeier so neidisch auf Großbritannien schauen sollte, wo “eine breite Diskussion stattfindet über Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Medien, die sogar dazu führt, dass die „Noddys” in Frage gestellt werden, die Gegenschüsse auf nickende Fragesteller, die nachträglich gedreht und in Fernsehinterviews geschnitten werden”.
Ist nicht vielmehr dieses Youtube-Video der schlagende Beweis für eine funktionierende Gegenöffentlichkeit? Auch wenn nicht sicher ist, ob die von Dittmayer erhobenen Vorwürfe tatsächlich so oder so den Weg in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finden; sicher ist: dieses Video wird in den nächsten Tagen von tausenden Internetnutzern gesehen werden (“Comments: 1,285 Favorited: 1,855 times”), wird indenBlogsdie Rundemachen, von Online-Magazinen aufgegriffen, in Mikrobloggingkanälen diskutiert und immer wieder in social bookmarking-Diensten abgespeichert und bewertet.
Natürlich ist das noch ein etwas elitärer Kanal, wenn auch elitär im besten Sinne eines Diskurses, der andere Verbreitungskanäle nutzt als die üblichen massenmedialen Sendeformate – also in etwa so, wie Flusser diesen Begriff verwendet: “antipublizistische Publikation” (“Vom Verrat”, Schriften Bd. 1).
Nur kurz der Hinweis auf zwei Neuerscheinungen, die ganz spannend klingen:
Erstens das Buch “Internet and Society: Social Theory in the Information Age” (Routledge) von Christian Fuchs (ICT&S Salzburg), in dem der Autor eine Theorie entwickelt, die zeigt, wie das Internet die Gesellschaft verändert hat und wie die Gesellschaft das Internet geformt hat. Das Buch verspricht eine breite gesellschaftstheoretische Erörterung des Internets, die auch die Ökologie, Ökonomie, Politik und Kultur des “transnationalen informationellen Kapitalismus” umfasst. Wie es sich für so ein Thema gehört, hat der Autor neben der Homepage gleich noch zweiYoutube-Videos als Einführung in sein Buch produziert und außerdem ein Diskussionsforum dazu eingerichtet. Nett.
Die zweite Neuerscheinung, “Semantic Web” (Springer eXamen) von Pascal Hitzler, Markus Krötzsch, Sebastian Rudolph, York Sure verspricht “einen einfachen und zügigen Einstieg in Methoden und Technologien des Semantic Web”. Das Anliegen, die Praxis der semantischen Netztechnologien mit etwas Hintergrundwissen anzureichern, sieht man bereits daran, dass es zwei Anhänge zu den Themen Prädikatenlogik und Naive Mengenlehre gibt. Auch hier gibt es ergänzend eine Mailingliste sowie Folien aus den Vorlesungen, auf denen das Buch beruht.
Steffen Büffel, Falk Lüke, Igor Schwarzmann und Alexander Svensson haben ihre Studie zur Verwendung von Web 2.0-Features in den Online-Auftritten von Zeitungen aktualisiert und können mit interessanten Ergebnissen aufwarten. Besonders deutlich hat sich der Anteil der Zeitungen (71%) vergrößert, die Videoinhalte auf ihren Webseiten anbieten (Youtube-Effekt). Die Grenze zwischen Printzeitung und Fernsehnachrichten wird zunehmend unscharf. Auch die Möglichkeiten der Nutzer, sich inhaltlich zu beteiligen (z.B. per Kommentar) haben deutlich zugenommen: gegenüber 11% im Vorjahr sind es nun schon 28%. Auch das bislang etwas selbstgefällig geäußerte Vorurteil, dass Zeitungen nichts von der Blogosphäre verstehen, lässt sich so nicht halten. Denn mittlerweile gibt es auf fast jeder dritten Zeitungshomepage auch ein Weblog.
Ich denke aber nicht, dass es sich bei diesen Trends um einen zeitungsspezifischen Effekt handelt, denn auch andere Webseiten rüsten, was interaktive Technologien angeht, immer stärker auf. Das hat vor kurzem auch eine Studie von Laura Massoli angedeutet, die die Homepages von Forschungsförderungsinstitutionen analysiert hat. Viel stärker als die Angebotsseite würde mich jedoch die Nachfrageseite interessieren: geht das Konzept auf? Profitieren die Zeitungen durch ihre Schritte ins neue Netz hinsichtlich Glaubwürdigkeit, Reichweite etc.?
Und mit OpenSocialApplist gibt es auch schon ein Blog, das dem Thema Open Social-Anwendungen gewidmet ist. Zum Schluss gibt es von Robert Scoble noch eine Aufnahme der beiden CEOs von Google und MySpace zum Thema:
Benedikt Koehler (auf Twitter furukama), meine Tags lauten: Social Media, Big Data, Social Network Analysis (SNA), Informationsvisualisierung, Brandtweet, Slow Media.
Ich arbeite als Director Data & Innovation bei der Forschungsagentur d.core in München. 2006 habe ich bei Ulrich Beck in Soziologie promoviert.
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